Wie verbunden bist du?
Im Jahr 2025 scheint alles vernetzt: globale Lieferketten, 5 Milliarden Internetnutzer:innen, Remote-Work und Streaming-Plattformen, die nicht nur Musik, Serien und Spiele weltweit verfügbar machen, sondern auch ein globales kulturelles Angebot schaffen.
Trotz dieser zahlreichen Möglichkeiten fühlen sich immer mehr Menschen einsam, überfordert und wenig verbunden mit sich selbst und anderen. Aber was bedeutet wahre Verbundenheit? Wann fühlen sich Menschen wirklich verbunden? Und was sagt die Forschung über unser Bedürfnis nach Nähe? Ich möchte diese Fragestellungen im Folgenden genauer betrachten und Dir alltagstaugliche Tipps mitgeben, die Einsamkeit entgegenwirken und mehr Verbundenheit schaffen.
Warum fühlen sich so viele Menschen einsam?
Einsamkeit und Isolation wirken ähnlich gesundheitsschädlich wie Bewegungsmangel oder leichtes Rauchen. Laut WHO ist Einsamkeit eine globale Gesundheitspriorität, da sie das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz und Depressionen erhöhen kann.3
Im Vergleich zur sozialen Isolation, die als objektiver Zustand beschrieben werden kann, welcher auftritt, wenn Menschen wenig bis keine sozialen Kontakte haben, seltene Interaktionen und eine geringe Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, sind Einsamkeit und Verbundenheit subjektive Gefühlszustände. Menschen, die sich einsam fühlen, können durchaus über ein soziales Netzwerk verfügen, doch echte Nähe, Unterstützung und wahre Verbundenheit fehlen. Entscheidend ist die Qualität der Beziehungen, die das subjektive Gefühl beeinflusst. Die Gründe für Einsamkeit sind vielfältig: chronische Krankheiten, unsere zunehmend individualistische Gesellschaft, Social-Media-Konsum, soziale Ängste, niedriges Selbstwertgefühl oder Übergänge in neue Lebensabschnitte können dazu beitragen, dass Menschen jeden Alters sich einsam fühlen.
Soziale Verbundenheit wird von der WHO als Schlüsselindikator für gesellschaftliche Gesundheit verstanden, ähnlich wie Ernährung oder Bewegung. Verbundenheit ist ein subjektiver Gefühlszustand, der in Verbindung mit sich selbst, anderen Menschen oder auch der Natur entstehen kann. Im Gegensatz zur Einsamkeit basiert Verbundenheit auf der erlebten positiven Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen, Vertrauen, Wertschätzung und Verständnis. Verbundenheit entsteht also, wenn man sich gesehen und verstanden fühlt: von sich selbst und von anderen.
Es ist daher wenig verwunderlich, dass sich immer mehr Menschen von sich selbst getrennt und abgeschnitten fühlen. Wie viele von uns haben großes Verständnis für die Probleme anderer und verstehen das Leid und die Freuden ihres Umfelds, vernachlässigen jedoch ihre eigenen Themen? Verdrängung, Ablenkung und Kompensation sind nur einige destruktive Bewältigungsstrategien, die viele Menschen nutzen. Und damit meine ich nicht, dass diese Mechanismen nicht auch hilfreich und angebracht sein können - die Dosis macht das Gift. Zudem neigen Menschen dazu, sich in unsicheren Zeiten, in denen wir uns momentan befinden, zurückzuziehen. Auch dies ist ein dysfunktionaler Schutzmechanismus, der Menschen langfristig nicht guttut.
Warum Verbundenheit für unsere Gesundheit so wichtig ist
Cohen und Wills haben 1985 in der Stressforschung herausgefunden, dass soziale Unterstützung wie ein Puffer zwischen Stressoren und negativen gesundheitlichen Folgen wirkt.4 Übertragen auf Einsamkeit und Verbundenheit kann Einsamkeit als fehlender Puffer und im übertragenen Sinne wie ein Stressor verstanden werden, Verbundenheit hingegen wie ein abfedernder Schutzfaktor.
Stressoren sind zwar im eigentlichen Sinne äußere Belastungen wie Verlust, Krankheit oder Jobdruck. Jedoch wirkt Einsamkeit oft wie ein innerer Dauerstress bei dem die gleichen biologischen Systeme aktiviert werden wie bei externen Stressoren: das Cortisol steigt, Schlafqualität sinkt, das Immunsystem zeigt Entzündungsreaktionen und die Wahrnehmung von Bedrohung und sozialer Ablehnung wird geschärft. Psychische und körperliche Erschöpfung kann eine weitere Folge sein. Verbundenheit hingegen stärkt die Selbstwirksamkeit, senkt Stressmarker und kann zu mehr Wohlbefinden führen. Zudem erhöht Verbundenheit die Wahrscheinlichkeit in Notlagen, Hilfe zu bekommen oder Sinn in schwierigen Erfahrungen zu finden.
Wie viele soziale Kontakte brauchen wir wirklich?
Einige kennen vielleicht Dunbar’s Number, die besagt, dass Menschen etwa 150 soziale Kontakte pflegen können. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Kontakte gleich verbindend sind. Gemäß der evidenzbasierten Social-Connection-Guidelines neigen Menschen dazu, 1-2 sehr intime Beziehungen zu führen, mit weiteren 5 Menschen emotional eng verbunden zu sein und rund 15 gute Freunde zu haben. Zudem zeigt die Forschung, dass 1–2 Stunden täglicher sozialer Interaktion sinnvoll sind, um Einsamkeit entgegenzuwirken. Qualität schlägt dabei Quantität: einige tiefe Verbindungen sind wichtiger als viele oberflächliche.
Einige Merkmale wurden bereits genannt, wann sich Menschen verbunden fühlen. Neben sich gesehen zu fühlen, verstanden und akzeptiert zu werden, können auch gemeinsame Werte und Ziele, wahrgenommene Ähnlichkeiten und ein geteilter Kontext wie das Arbeitsumfeld, Hobbys und gleiche Gruppen das Verbundenheitsgefühl stärken.
Selbstverbundenheit: Die Basis jeder Verbindung
Selbstverbundenheit wird weniger über konkrete Interaktionszeiten beschrieben, sondern durch Merkmale wie Selbstachtung, Selbstfreundlichkeit, Achtsamkeit, innere Klarheit und Selbstwahrnehmung. Menschen, die sich selbst unterstützen, ihre Werte kennen und entsprechend handeln, sowie ihre Emotionen, Körperempfindungen und Gefühlszustände wahrnehmen, fühlen sich eher mit sich selbst verbunden. Wenn du dich fragst, wie du dabei authentisch mit dir selbst bleiben kannst, lies auch meinen Artikel über Authentizität.
Klussmann et al. entwickelte 2022 eine Skalazur Messung von Selbstverbundenheit anhand von drei Komponenten: self-awareness, self-acceptance, self-alignment. Selbstverbundenheit wurde als ein umfassender Prozess definiert, der das eigene Innenleben bewusst wahrnimmt, ohne ein Urteil anzunehmen und entsprechend zu handeln. Sie bedeutet nicht nur, nicht allein mit sich zu sein, sondern in Freundschaft auf eine bewusste, angenommene und stimmige Art und Weise mit sich zu leben. Es konnte gezeigt werden, dass die drei Komponenten positive Auswirkungen auf die mentale Gesundheit haben können und dass Selbstverbundenheit veränderbar ist.5
Mini-Selbsttest: Selbstverbundenheit
(Skala 1 = trifft gar nicht zu, 5 = trifft voll zu)
Schreib deine Antworten auf und sieh, wo du stehst. Der Test dient als Reflektionsinstrument.
Ich nehme regelmäßig Zeit, um meine Gedanken und Gefühle wahrzunehmen.
Wenn ich mich schlecht fühle, behandle ich mich mit Freundlichkeit statt mit Härte.
Ich fühle mich in meinen Werten klar – ich weiss, was mir wichtig ist.
Meine Handlungen sind meistens mit meinen inneren Überzeugungen im Einklang.
Ich fühle mich mit meiner Lebensgeschichte verbunden, auch mit Fehlern.
Wenn ich mit mir allein bin, fühle ich mich nicht verloren oder abgeschnitten.
Ich erkenne, dass mein Erleben Teil der menschlichen Erfahrung ist – ich bin nicht allein mit dem Leiden.
Ich spüre gelegentlich einen Sinn oder eine innere Richtung, die aus mir selbst kommt.
Mini-Selbsttest: verbundenheit mit anderen
(Skala 1 = trifft gar nicht zu, 5 = trifft voll zu)
Schreib deine Antworten auf und sieh, wo du stehst. Der Test dient als Reflektionsinstrument.
Ich fühle mich von mindestens einer Person in meinem Leben verstanden.
Ich habe Menschen, bei denen ich mich öffnen kann, ohne bewertet zu werden.
Ich fühle mich regelmäßig als Teil einer Gemeinschaft oder Gruppe.
Ich erhalte emotionale Unterstützung, wenn ich sie brauche.
Ich kann auch Freude und gute Erlebnisse mit anderen teilen.
Ich fühle mich in meiner Nähe zu anderen sicher und akzeptiert.
Ich habe Freunde oder Vertraute, auf die ich mich verlassen kann.
Ich erlebe oft Momente, in denen ich spüre: „Wir gehören zusammen“.
Auswertung der mini-tests
Gesamtpunkte: Summe der Antworten (min. 8, max. 40).
8-20 Punkte: Hinweis auf verbesserungswürdige Selbstverbundenheit und wahrgenommene Verbundenheit mit anderen.
21-30 Punkte: solider Mittelwert – gute Basis, aber Potenzial nach oben.
31-40 Punkte: starke Tendenz zur Selbstverbundenheit und hohe wahrgenommene Verbundenheit zu anderen.
Hinweis: Diese Kategorien sind nicht wissenschaftlich normiert, sondern dienen zur eigenen Reflexion.
Alltagstipps für mehr Verbundenheit
Grundsätzlich sollte man stets eine Regel beachten: Regelmäßigkeit wirkt stärker und nachhaltiger als kurzfristige Aktionen. In Eigenregie können die folgenden Interventionen in den Alltag integriert werden:
Soziale ROutinen aufbauen
Versuch, jeden Tag einen kleinen Kontaktmoment einzubauen: einen Anruf, eine Nachricht oder ein kurzes Gespräch an der Supermarktkasse. Auch Social Media kann verbinden, wenn es zum echten Austausch genutzt wird statt zum endlosen Scrollen. Plane pro Tag einen gezielten Kontakt mit einer Person, statt dich in der Masse zu verlieren.
Vertrautheit durch wiederholung
Wähl dir Orte oder Gruppen, die du regelmäßig aufsuchst: ein Café, eine wöchentliche Sport- oder Freiwilligengruppe. Wiederkehrende Begegnungen können die wahrgenommene Einsamkeit um 20-30% senken. Durch das wiederholte Hingehen entsteht Sicherheit und Vertrautheit. In Gruppen wird das Zusammenhaltsgefühl gestärkt und mehr Beziehung kann entstehen.
Dankbarkeit und Anerkennung
Nimm dir einmal pro Woche vor, jemandem echte Anerkennung zu zeigen. Sag einer Person, was du an ihr schätzt oder bedanke dich für ihr Zuhören. Das stärkt Nähe, Vertrauen und das Gefühl, gesehen zu werden.
Tägliches Innehalten
Führe tägliche Check-ins mit dir selbst ein. Drei Minuten reichen: eine für deine Gedanken, eine für deine Gefühle, eine für deine Körperempfindungen. Es geht nicht ums Analysieren und Bewerten, sondern ums Wahrnehmen. Diese Praxis stärkt Selbstakzeptanz und die Verbundenheit mit dir selbst.
Werteliste führen
Notiere dir wöchentlich Situationen, in denen du im Einklang mit dir gehandelt hast. Schreib dazu, welche Werte darin steckten wie z. B. Ehrlichkeit, Mut, Fürsorge etc. Das hilft, zu erkennen, was dich wirklich leitet und wann du dich stimmig fühlst.
Gemeinsame Rituale
Plane feste gemeinsame Momente – ein monatlicher Stammtisch, ein wöchentlicher Kochabend oder ein Spaziergang mit einer Freundin. Wiederkehrende Rituale schaffen Verlässlichkeit und tieferes Vertrauen, ohne dass es viel Aufwand bedarf.
Zudem helfen langfristige Interventionen und Programme, die konkret der Ursache auf den Grund gehen und Veränderung durch neue Denkmuster und Verhaltensweisen fördern, nachhaltiger als kurzfristige oder schnell umsetzbare Tipps. Bei starken Gefühlen der Einsamkeit und des Nicht-Verbundenseins sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.
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Quellen
1 https://shorturl.at/2FKlS
2 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37337095/ 3 https://shorturl.at/2FKlS.com 4 Cohen, S. & Wills, T. A. (1985). Stress, social support, and the buffering hypothesis. Psychological Bulletin, 98(2), 310–357. https://doi.org/10.1037/0033- 2909.98.2.310 5 Klussman, K., Nichols, A. L., Curtin, N., Langer, J. & Orehek, E. (2021). Self‐connection and well‐being: Development and validation of a self‐connection scale. European Journal Of Social Psychology, 52(1), 18–45. https://doi.org/10.1002/ejsp.2812